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Hier ist er: der Sündenbock!

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Der Sündenbock

„Wer ist Schuld?“ – ist meist die erste Frage, wenn etwas schief läuft…

…und die führt in aller Regel zu nichts. Jedenfalls zu nichts Gutem. Im Gegenteil führt sie in eine Spirale von Rechtfertigungen, gegenseitigen Vorwürfen, verletzten Gefühlen und Abwertungen. Der innere Rollladen geht hoch. Und das Problem selbst wird nicht geklärt. Viel interessanter, einfacher und konstruktiver wären die  Fragen: „Was ist als nächstes zu tun?“ und„Warum ist das passiert?“

 

Ein Beispiel: Der Messestand einer Firma wird aufgebaut. Leider fehlte ein wichtiges Teil für den Aufbau einer Maschine, und der ganze Ablauf kam ins Stocken, der Zeitplan drohte zu kippen.  Statt sich mit der üblichen Frage: „Wer hat das verbockt und muss jetzt erstmal abgestraft werden?“ aufzuhalten wurde von den Beteiligten nur die Frage gestellt: „Was braucht es jetzt, damit wir vorankommen?“. Ein Mitarbeiter am Firmensitz setzte sich ins Auto und fuhr das passende Teil zur Messestadt. Andere Arbeiten wurden vorgezogen. Am Ende war der Messestand pünktlich fertig. Als alles vorbei war und das Messeteam wieder im Unternehmen saß, wurde Bilanz gezogen. Unter anderem tauchte die Frage auf: „Wie konnte es passieren, dass dieses Teil fehlte?“ Grundlegende Vermutung war, dass nicht ein einzelner Mensch „versagt“ hatte, sondern die Prozesse nicht eindeutig genug waren. Was dann auch zutraf und im Zuge dieser Revision konnten auch andere Unklarheiten noch eindeutiger gefasst werden. Bei der nächsten Messe wird wieder irgendetwas schief gehen – aber dieses Teil wird nicht mehr fehlen.

So weit, so leicht. Und vermutlich eben eine Ausnahme. Warum ist es so verführerisch, einen Schuldigen zu suchen und bei Personen das Problem abzuladen? Selbst wenn es im obigen Beispiel so gewesen wäre, dass jemand einen Fehler gemacht, etwas vergessen oder übersehen hätte: Gehört der deswegen abgewertet und abgestraft? Warum ist das Bedürfnis so groß, Sündenböcke zu finden? Diesen gibt es übrigens wirklich: In der jüdischen Religion wurde an Jom Kippur, dem Versöhnungstag, einem Ziegenbock alle Sünden des jüdischen Volkes symbolisch übertragen – zur Entlastung der Gemeinschaft. Einen Schuldigen zu haben, entlastet die Psyche und kanalisiert Aggression.

Gesellschaftlich wird es wohl ein Reflex bleiben, nach Katastrophen oder Unglücken umgehend die Frage nach dem Schuldigen zu stellen. Im Kleinen, privat oder beruflich, lässt es sich anders machen. Verschiedene Möglichkeiten helfen:

  • Man kann die Schuldfrage ironisieren: Wann immer etwas passiert, muss jemand umgehend die Hand heben und bereitwillig die Schuld zu übernehmen – egal, ob er tatsächlich einen Anteil daran hatte oder nicht. Damit ist die Luft aus der Frage raus und jedem wird deutlich, dass die Suche nach einem Schuldigen nicht weiter führt. In unserer Familie hat das schon etliche Situationen entschärft, wenn einer umgehend, breitwillig und aufgesetzt ernsthaft erklärt hat: „Ich bin Schuld!“ Das funktioniert aber nur in Familie oder Teams, die das Thema Schuld auch wirklich „loswerden“ wollen und nicht mehr wirklich an „Schuldige“ glauben.
  • Wann immer die Frage auftaucht, kann sie „vorübergehend“ zurückgestellt werden im Sinne von: „Ja, wir werden einen Schuldigen finden, aber zunächst mal…“
    • …suchen wir einen Weg, wie wir mit der Situation unmittelbar umgehen.
    • …schauen wir uns die „Warum-oder wie-Frage“ an: Warum/wie konnte es eigentlich passieren, dass…“ Hier werden dann meistens Systemfehler gefunden – Prozesse sind nicht klar, Verantwortlichkeiten nicht wirklich ausgesprochen, Listen fehlerhaft oder unvollständig oder Zeiten völlig unrealistisch geplant, die dann Fehlleistungen bedingen. Klar wird meistens: es ist ganz selten nur einer beteiligt, wenn was schief läuft, sondern meistens ist es eine Verkettung von Umständen, die dazu führt, dass jemand etwas falsch macht.

Das ist „eigentlich“ nicht wirklich neu. Aber trotzdem immer wieder der Erwähnung wert. Als Beraterin bin ich in vielen Unternehmen und Organisationen unterwegs und es gibt nur wenige, in denen die Schuldfrage nicht zur Unternehmenskultur gehört. Das ist bedauerlich und im Großen – ohne entsprechenden Auftrag und Willen der Entscheider – auch nicht zu ändern. Aber ich habe schon einige Teams erlebt, die das anders hinbekommen, wenn sie sich konsequent und über längere Zeit die obigen Fragen stellen.

So ein hübsches Ziegenbock-Foto könnte ja eine gute Erinnerung sein…

Der Sündenbock als Erinnerung

Nele Haasen

 

 

 

 

 

 

Bildquelle: alle Fotos in diesem Beitrag ©Birgit Spies, Privatarchiv 

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